Antwort auf: Heute habe ich mir folgenden Film angesehen…. (2020)

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DerSchweiger
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@derschweiger

Der Goldene Handschuh

Meine Herren, was war das denn??
Ich kann mich noch erinnern, wie ich zum Start des Films in die Kinos einige Interviews des Regisseurs und des Hauptdarstellers gesehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war mir die „Lust“ an dem Film vergangen. Zugeben muss ich außerdem, dass er mich also deutsche Produktion zum Thema „Serienmörder“ völlig kalt gelassen hat.
Was will man uns hier schon bieten?…

Vor ein paar Wochen habe ich dann aber doch eher zufällig gesehen und wurde schon beim Schauen in die Sofakissen gepresst.

Fritz Honka lebt ein von Alkohol und Einsamkeit geprägtes Leben in einer Dachgeschosswohnung im Hamburger Stadtteil Ottensen. Schielend, buckelnd und mit einem Sprachfehler behaftet scheint sein Wesen mit Wut und Scham ausreichend beschrieben zu sein.
Wir lernen Fritz in dem Moment kennen, in dem er Gertrud Bräuer ermordet. Fortan sehen wir ihn trinkend, pöpelnd, obdachlose „Prostituierte“ anbaggernd im „Goldenen Handschuh“ sitzen – eine Kneipe in St.Pauli.
Die gesamte Szenerie ist trostlos, abschreckend, teilweise widerlich und mit Worten nur schwer zu beschreiben.
In dieser Kneipe trifft sich ein Mikrokosmos aus vergessenen, verlorenen und nicht tageslicht tauglichen Gestalten. Ihre gesellschaftliche Lage als „hoffnungslos“ zu schildern, würde ihnen womöglich schmeicheln.
Einige Jahre vergehen, in denen wir Honka beim Versuch beobachten, trocken zu werden (bzw. zu bleiben) und wie er sich in eine hübsche, gleichaltrige Kollegin verliebt.
Doch weitere Damen werden ermordet, zerstückelt und hinter einer dünnen Holzwand versteckt.

Kritisiert wird Regisseur Fatih Akin in erster Linie dafür, Honkas Werdegang zum ersten Mord und damit die Begründung seiner persönlichen wie sexuellen Störung nicht zu erklären.
In meinen Augen aber handelt Akin hier goldrichtig. Auch wenn hier ein klassischer Fall von „schwere Kindheit, der kann doch eigentlich nix dafür“ vorliegt, wird das keines seiner Opfer und möglichen Angehörigen als Entschuldigung akzeptieren (soweit sollte das auch irgendwie logisch sein).
Honka wird in seiner selbstzerstörerischen, ausweglosen Tätigkeit als Trinker, Sadist und „Schlappschwanz“ gezeichnet, in der man ihm zu diesem Zeitpunkt begegnet wäre.
Eben dies wird ihm zum Vorwurf gemacht – er habe Honka und auch dessen Opfern keinerlei Würde gelassen. Das zu beurteilen, mag dem Zuschauer überlassen sein. Mir hat dieses radikale und ungeschönte Zeichnen der Ereignisse zugegeben arg zugesetzt, doch macht es den Film gleichermaßen wertvoll.

Gelockert wird die Szenerie von einer sehr vagen Nebenhandlung, in der ein junger Mann seine Herzdame zu erobern versucht und glaubt, ihr als Draufgänger imponieren zu müssen. Dies geschieht u.a. bei einem Date im „Goldenen Handschuh“.
Hier hatte Heinz Strunks Buchvorlage wohl einen größeren Nebenplot aufgeboten, der durch das Auftreten dieser beider Figuren immerhin eine Referenz erfährt.

„Der goldene Handschuh“ ist nichts für zartbesaitete – nicht, weil das Blut in stömen fließen würde, sondern weil Honka und dessen Morde ungleich schmutzig und ungeschönt in Szene gesetzt werden. Dazu jedwedes Fehlen an Empathie und Sympathie gegenüber dem „vom leben geprügelnden Hund“.
Neben Akin´s Regie ist natürlich noch Jonas Dassler als Honka hervorzuheben. Was er – gleichwohl mit der großartigen Maskenabteilung – zu leisten imstande ist… Hut ab!

8,5/10